Geschlechterforschung / Gender Studies
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DFG Forschungsprojekt: "Das optimierte Geschlecht?" 2013 - 2015

Soziologische Explorationen zur (Neu)Kodierung der Geschlechterdifferenz am Beispiel der 'Schönheitschirurgie'"

Die Grenzziehung zwischen Natur und Kultur ist für die Moderne konstitutiv. Dabei ist insbesondere im Hinblick auf das Geschlecht seit dem Ende des 18. Jahrhunderts die ‚Natur’ zur Ontologie der Geschlechterdifferenz geworden. Am Beispiel der gegenwärtig beobachtbaren Popularisierung von vergleichsweise drastischen Körpermanipulationen, hier der so genannten ‚Schönheitschirurgie’, sollen gesellschaftliche Semantiken und alltägliche Deutungen sowie Praxen der Entgrenzung (zwischen Natur und Kultur) unter die soziologische Lupe genommen werden. Dabei soll rekonstruiert werden, wie die Gestaltbarkeit und die damit einhergehende Verfügbarkeit des Geschlechtskörpers von Seiten der ‚Schönheitschirurgie’ kodiert werden und wie dies von Menschen lebensweltlich gedeutet wird. Zeichnet sich, so fragt das Projekt, eine neue Grenzziehung zwischen Natur und Kultur ab, wenn der Geschlechtskörper zunehmend als ‚machbar’ erscheint? Wie verhält sich dies zu einer – von vielen Forschungsprojekten diagnostizierten – Entgrenzung der Medizin, die sich zunehmend nicht mehr als therapeutisch-heilendes Expertentum, sondern als optimierende Dienstleistung versteht? Und wie wird in dieser Situation die Autonomie von Personen entlang ihres körperlichen Selbstverhältnisses gedeutet? Das Projekt bearbeitet diese Fragen empirisch in zwei Strängen: Zum Einen wird eine Diskursanalyse ausgewählter Materialien die Plausibilisierungs-Semantik der ‚Anbietenden’ rekonstruieren, zum Anderen werden durch Gruppendiskussionen alltagsweltliche Deutungsmuster und Aushandlungen rekonstruiert, die sich – so die These – milieuspezifisch gestalten.

“The optimized gender? Sociological explorations on the (new) codification of gender difference using the example of cosmetic surgery”

The demarcation between nature and culture is constitutive for modernity. Particularly with regard to gender, ‘nature’ has become an ontology of gender difference since the end of the 18th century. However, this notion might be currently changing. Using the example of the current popularization of comparatively drastic body manipulations, notably cosmetic surgery, the project examines social semantics and everyday interpretations as well as material practices related to the dissolution of boundaries between nature and culture. Using discourse analysis, one empirical strand of the project reconstructs how the adaptability and the accompanying availableness of the gendered body is coded by those who offer cosmetic surgery, while the second empirical strand uses group discussions to analyze milieu-specific common-sense interpretations of cosmetic surgery. Parting from the assumption that the gendered body appears increasingly doable, the leading question of the entire project is whether new boundaries between nature and culture are currently drawn. Our research also asks how the re-negotiation or blurring of nature/culture boundaries regarding the gendered body relate to a delimitation of medicine – diagnosed by many research projects – which recognizes itself as optimizing service or wellbeing-service rather than as therapeutic-curative expertise? We also are interested in how individual autonomy is connected to corporeal self-relations.

1 | Forschungsbereich ‚Diskurse der Anbietenden’

Im Rahmen des Forschungsprojekts untersucht eine Diskursanalyse für den deutschsprachigen Raum und hinsichtlich der geschlechtlichen Dimension die Plausibilisierungssemantiken, Legitimationsstrategien und Subjektpositionen, die seitens der Ärztinnen und Ärzte im diskursiven Feld der Kosmetischen Chirurgie verhandelt und (re-)artikuliert werden. Dabei soll rekonstruiert werden, wie die Gestaltbarkeit und die damit einhergehende Verfügbarkeit des Geschlechtskörpers derzeit von ‚Anbietenden’ über Selbstbeschreibungen auf Webseiten inszeniert werden. Insbesondere interessieren dabei die Plausibilisierungen der Verfahren und die Formulierungen von ‚Natur’ und (technologischer) ‚Kultur’ bezüglich des Geschlechtskörpers.

Forschungsleitende Fragen lauten:

  • Welche Körperstellen dürfen ver- und behandelt werden?
  • Welche Phänomene und Materialisationen in Form von Objektivierungen und nicht-diskursiven Praktiken lassen sich in den Selbstdarstellungen von ÄrztInnen und Kliniken beobachten?
  • Welche Subjektpositionen (u.a. im Hinblick auf Geschlecht, Milieu und Alter) werden von Kliniken kosmetischer Chirurgie auf ihren Webseiten verhandelt?
  • Wie verorten sich Kliniken mittels Selbstdarstellungen im Diskurs kosmetischer Chirurgie?
  • Welche Grenzziehungen und –überwindungen zwischen ‚Natur’ und ‚Kultur’ werden im Diskurs der ÄrztInnen sichtbar? Wie wird welche ‚Machbarkeit’ – sowie deren Begrenzung – thematisiert?

Within the framework of the research project a discourse analysis examines the semantics of plausibility, legitimizing strategies and subject positions that are negotiated and (re-) articulated by practitioners within the discursive field of cosmetic surgery in the German-speaking area and with a focus on gender. The analysis reconstructs how the adaptability and availableness of the gendered body is currently being represented by providers in their web-based self-portrayals. The plausibility of treatments and the reformulations of ‘nature’ and (technological) ‘culture’ regarding the gendered body are of special interest.

Some of the research questions are:

  • Which body parts are negotiated and can be treated?
  • What phenomena and materializations in the form of objectifications and non-discursive practices can be reconstructed on behalf of the self-portrayals of practitioners and clinics?
  • What subject-positions regarding gender, milieu or age (amongst other criteria) are negotiated by cosmetic surgery clinics on their websites?
  • How do clinics position themselves in relation to broader cosmetic surgery discourses via their online representations?
  • What boundaries and transformations between ‚nature’ and ‚culture’ are visible in the practitioners’ discourse? How is what feasibility and its limitation picked up as a subject?

2 | Forschungsbereich ‚gesellschaftliche Wissensbestände’

Im zweiten Projektbereich werden die Verhandlungen gesellschaftlicher Wissensbestände zum Geschlechtskörper im Bereich kosmetischer Chirurgie aus soziologischer Perspektive analysiert. Hierbei liegt der Fokus wieder auf der lebensweltlichen Grenzziehung (oder -überschreitung) zwischen "Natur" und "Kultur". Dabei stehen diejenigen Personen im Mittelpunkt der empirischen Aufmerksamkeit, die explizit keine konkreten Erfahrungen mit Schönheitschirurgie gemacht haben. Um alltagsweltliche Deutungsmuster zu rekonstruieren, wird das Verfahren der Gruppendiskussion angewendet, wobei die Gruppen nach Milieu und anderen Differenzen wie Alter, Geschlecht oder Schicht gesampelt werden. Folgende Fragen sind für diesen Projektteil forschungsleitend:

  • Welche Körper(stellen) dürfen ver- und behandelt werden? Welche Gründe sind dabei für Schönheits-Ops legitim?
  • Werden Entgrenzungen als solche wahrgenommen und wie werden sie thematisiert? Lassen sich dabei praxeologische und normative Verunsicherungen feststellen? Entstehen neue (argumentative) Sicherheiten?
  • Werden Normen und Normalitäten problematisierbar oder wird der Diskurs stets beherrscht von einer homogenen Idee der Optimierung und der Beseitigung von Abweichung?
  • Wie werden die (vergeschlechtlichten) Subjektpositionen der Anbieter_innen und des derzeit hegemonialen Diskurses angeeignet?
  • Wann und wie wird möglicherweise Kritik formuliert? Wie verlaufen dabei Argumentationen?
  • Lassen sich in den o.g. Mustern systematische Unterschiede ausmachen, die auf die Rolle von Geschlecht, Sexualität, Alter, Schicht hinweisen (intersektionale Perspektive)?

The second part of the project focuses on the sociological analysis of the negotiations on societal knowledge of the gendered body in the field of cosmetic surgery. Once again the focus lies on the life-world demarcation (or boundary crossing) between nature and culture. The research will focus explicitly on persons without experience of plastic surgery. We have chosen group discussions as an empirical approach in order to reconstruct everyday life patterns of sense-making. The groups are sampled by milieu and other differentiations like age, gender or social class. The leading research questions for this part of the project are: -

  • Which bodies (or parts of the body) are negotiable or seen as treatable? What kind of reasons are regarded as legitimate? 
  • Are dislimitations perceived as such and in what way are they discussed? Can praxeological and normative uncertainties be detected? Do new (argumentative) reliabilities arise?
  • Do norms and normality become problematic or is the discourse dominated by the idea of optimization and the elimination of divergence?  
  • In what way do social actors adopt (genderized) subject positions that are offered by the providers and the hegemonic discourse?
  • When and how is critique articulated? What are the lines of argumentation?
  • Is there a systematic behind the patterns of argumentation in favor/against cosmetic surgery, e.g. regarding effects of gender, sexuality, age or class?

Projektteam:

Projektleitung:
Prof. Dr. Paula-Irene Villa

Mitarbeiter/Innen:
Steffen Loick Molina, M.A.
Dipl.-Soz. Katharina Meßmer (assoziiert)
Julia Wustmann, MA
Daniel Lehnert, wissenschaftliche Hilfskraft
Eva Korte, wissenschaftliche Hilfskraft

Laufzeit:
2013 - 2015 

Fördersumme:
232.000 Euro

Förderung:
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)