Geschlechterforschung / Gender Studies
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Many Shades of Gender

Many Shades of Gender - Ein FAQ zu den Gender Studies (2019)

von Paula-Irene Villa Braslavsky, seit 2008 Professorin für Allgemeine Soziologie und Gender Studies an der LMU München;
Katrin Frisch, M.A., wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZtG der HU Berlin;
Dr. des. Isabel Klein, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie der LMU München; 
Dr. Imke Schmincke, wissenschaftliche Mitarbeiterin/PostDoc am Institut für Soziologie der LMU München;
Dr. Jasmin Siri, wissenschaftliche Mitarbeiterin/PostDoc am Institut für Soziologie der LMU München; 

Seit Jahren nun ist ‘Gender’ in aller Munde. An ‘Gender’ scheiden sich die Geister und erregen sich die Gemüter. Dabei wird ‘Gender’ intensiv politisiert - mal euphorisch zustimmend, mal vehement ablehnend. Doch, was steckt eigentlich dahinter? Was heißt überhaupt ‘gender’? Wieso solche Aufregung?

In diesem FAQ werden viele Fragen zum Thema ‘Gender’ aus der Sicht der entsprechenden Wissenschaft, also den ‘Gender Studies’ beantwortet. Diese Fragen sind allen, die zum Thema ‘Gender’ forschen oder sich damit befassen, immer wieder begegnet. Die nachfolgende Liste ist keine allumfassende oder abschließende Darstellung, sondern bietet Klärung, einige Antworten und vor allem weitere Hinweise zur eigenen Auseinandersetzung. Wie möchten hiermit zur Versachlichung und Verständigung der Debatte beitragen; gegen Diffamierungen, raus aus den Schleifen wechselseitiger empörter Missverständnisse.
Am Ender dieser Seite finden sich zudem eine Fülle weiterführender links zu einzelnen Aspekten, insbes. zu einem Gender-Glossar.

Sind Geschlechtsunterschiede nicht angeboren?

Das ist eine wichtige und interessante Frage. Sie wird in vielen Disziplinen gestellt und beschäftigt Natur- wie Sozialwissenschaften seit Jahrzehnten. Sie ist allerdings auch kaum in der Eindeutigkeit beantwortbar und daher womöglich falsch gestellt. Das liegt daran, dass Menschen biosoziale Lebewesen sind. Es gehört zur sozialen Natur des Menschen, die Welt (die natürliche Mitwelt, die physikalische Umwelt, die symbolische Welt der Zeichen und Sprache usw.) wie auch sich selber - ausdrücklich einschließlich auch den eigenen Körper - zu gestalten. In diesem Lichte sind Sozialität und Natürlichkeit tatsächlich immer miteinander verschränkt. Das bedeutet, dass sich Soziales nie unabhängig vom Biologisch-Materiellen realisiert (kein Denken, Sprechen, Lieben usw. ohne Gehirn, keine Praxis ohne Nerven und Muskeln, keine Partnerschaft oder Familie ohne physiologische Erregungen usw.), wie auch dass das Biologisch-Materielle immer auch sozial geprägt ist (wie aktuell etwa Epigenetik, Hormon- und Stoffwechsel, Adipositas usw. zeigen). Das konkretisiert sich nicht zuletzt ja darin, dass die körperliche Natur des Menschen zwar nicht beliebig oder unendlich, aber doch ganz wesentlich plastisch ist.

Es gibt zwischen Menschen auf der biologischen Ebene durchaus Unterschiede, die durchaus ‘so gegeben sind’ und als geschlechtlich gelten: Etwa chromosomale Ausstattung oder die reproduktiven Organe wie Gebärmutter oder Hodensäcke. Derartige Organe, Körperformen, deren Funktionen erkennen die Gender Studies selbstverständlich an. Allerdings weisen die Gender Studies die alltagsweltliche und auch historisch oft zu Unrecht formulierte Annahme zurück, dass sich aus Chromosomen, Gebärmutter oder möglichen Hirndifferenzen ganze ‘Geschlechtlichkeiten’ kausal ergeben. Das heißt, die Gender Studies fragen - möglichst offen - danach, was sich aus ‘angeborenen’ Qualitäten ergibt, und auch: was nicht. Vielfach haben die Gender Studies in diesem Sinne aufklären und zeigen können, dass auch die modernen naturwissenschaftlichen Tatsachen und dass so manche alltägliche Vorstellung davon, was an Geschlecht angeboren und was erlernt oder auch nur vermeintlich geschlechtlich ist, doch ziemlich vorurteilsbehaftet ist. Wir wissen heute, auch den Gender Studies sei dank, dass es nicht angeboren ist, dass nur Männer Flugzeuge fliegen oder nur Frauen sich um kleine Kinder kümmern können. Wir wissen heute, dass das was zunächst als angeboren gilt, sich bisweilen als (auch) sozial geprägt und sozial wandelbar erweist. Wir wissen heute ebenso, dass es Körperlichkeiten, Materialitäten, biologische Tatsachen gibt, die Geschlechtlichkeit mit-prägen. Die Forschung dazu hält an, und auch wenn die Dualität von ‘angeboren’ vs. ‘anerzogen’ bzw. ‘nature’ vs. ‘nurture’ letztlich weder sozial- noch biowissenschaftlich sinnvoll ist, so ist doch die Suche nach unterschiedlichen Ontologien des Geschlechts hoch produktiv und auch relevant. Es kommt schließlich noch hinzu, dass auch die wesentlich angeborenen oder gegebenen Aspekte von Geschlecht hoch komplex und dynamisch sind.
Kurzum: Geschlechtsunterschiede, die sozial, ökonomisch, kulturell, psychologisch und individuell relevant sind, basieren auf angeborenen Materialitäten (Gene, Muskeln, Gehirne, Hormone usw.), die allesamt beim Menschen hoch plastisch und so unausweichlich auch sozial geprägt sind. Was dies genau bedeutet, dazu forschen auch die Gender Studies.

Zum Weiterlesen:

 

Werden Jungs in der Schule benachteiligt?

Diesen Eindruck kann man bisweilen haben, wenn man bedenkt und sieht, wie sehr Mädchen und Frauen tatsächlich seit der sogenannten Bildungsexpansion in Westdeutschland der 1960er und 1970er Jahre im Bereich Bildung aufgeholt haben. Junge Frauen machen inzwischen mindestens 50% der Abiturient_innen aus, und sie machen im Schnitt so gute Abiturabschlüsse wie junge Männern. Allerdings: von der Bildungsexpansion haben auch Jungs und junge Männer profitiert. Das heißt, beide Geschlechter stehen typischerweise schulisch besser da als vor Jahrzehnten - “je jünger Frauen und Männer sind und damit je kürzer ihre Schulzeit zurückliegt, desto niedriger ist der Anteil der Personen mit einem Hauptschulabschluss. Gleichzeitig erreicht ein immer größerer Anteil der Schüler die Fachhochschul- oder Hochschulreife”, so zusammenfassend das Demographie-Portal des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (https://www.demografie-portal.de/SharedDocs/Informieren/DE/ZahlenFakten/Schulabschluss_Alter_Geschlecht.html).
Ein genauerer Blick zeigt dabei - wie üblich - jedoch ein komplexeres und nuancierteres Bild. Junge Frauen machen einerseits gegenwärtig pro Kohorte im Schnitt einen leicht höheren Anteil der Abiturient_innen aus.  Jungs haben andererseits, dies zeigen neuere Studien, bereits in der Grundschule häufiger Probleme als Mädchen: sie wiederholen häufiger die Klasse oder erhalten weniger häufig die Empfehlung zum Gymnasium. Manche Studien sehen sogar eine Diskriminierung dahingehend, dass gleiche Leistungen bei Jungen im Vergleich zu den Mädchen etwas schlechter bewertet werden (https://www.berlin-institut.org/fileadmin/user_upload/Schwach_im_Abschluss/Bildung_online_gesamt_final.pdf). Es gibt, so lässt sich empirisch begründet vermuten, tatsächlich einen strukturellen bias - ein eingebautes Vorurteil - im Schulsystem Deutschlands, das gewisse Fähigkeiten, gewisses Verhalten und gewisse Interessen stärker belohnt als andere und dies deckt sich mit geschlechtlichen Stereotypen: Mädchen gelten tendenziell als brav, ordentlich, leseinteressiert, konzentriert, ruhig, diszipliniert - Jungen als laut, raumgreifend, unkonzentriert, wild, schlampig usw. Schulen belohnen daher Mädchen. Aber eben auch nur die, die ‘mädchenhaft’ sind. Mädchen und Jungen also, die diesen Klischees nicht entsprechen, haben es beide schwerer.
Studien weisen allerdings insgesamt darauf hin, dass für Deutschland nach wie vor gilt, dass Schichtzugehörigkeit und Bildungsgrad der Eltern die maßgeblichen Variablen für schulische Erfolge sind (zu diesen Themen im Interview der Forscher S. Sievert https://www.spektrum.de/news/warum-jungen-in-der-schule-auf-der-strecke-bleiben/1353755 ; ausführlicher auch hier bei Solga 2009 https://www.boeckler.de/pdf/p_arbp_171.pdf). Sie überlagern Geschlecht - was aber nicht bedeutet, dass Geschlecht keine Rolle spiele. Verdichtet hieße das: der Sohn von gut verdienenden Akademiker_innen-Eltern in einer reichen Stadt hat weitaus bessere Chancen in der Bildungslaufbahn als die Tochter prekär beschäftigter Eltern mit niedrigem Bildungsabschluss auf dem Land. Migration und Region spielen hierbei ebenfalls eine Rolle, aber wiederum keine pauschale: Die Tochter schweizer-südafrikanischer Eltern, die im höheren Management einer Pharmafirma arbeiten und die selbst auf ein bilinguales Gymnasium geht, der wird es - statistisch gesehen - bildungsbezogen eher besser gehen als dem Sohn bulgarischer Tagelöhner, die semilegal auf dem Bau arbeiten. Menschen sind immer durch die gleichzeitige Zugehörigkeit zu mehreren Gruppen und Differenzen sozial positioniert. An solchen Beispielen zeigt sich die Intersektionalität von sozialen Positionen:
Diese Klischee-Figuren zeigen: Bildungsverläufe sind maßgeblich von Variablen wie Geschlecht, Region, Migrationshintergrund, Schichtzugehörigkeit geprägt - wie genau und was dies bedeutet, dies ist komplex. Die Gender Studies befassen sich auch mit diesen Fragen und tragen so zum Verständnis dieser Zusammenhänge bei.

Zum Weiterlesen:

Wollen die Gender Studies das Geschlecht abschaffen?

Die Gender Studies wollen insgesamt weder Geschlecht abschaffen noch, wie manchmal auch vermutet wird, es allen aufzwingen. Vielmehr wollen die Gender Studies forschend herausfinden, wo wie für wen warum in welcher Weise und mit welchen Folgen Geschlecht überhaupt eine Rolle spielt (oder auch nicht). Dabei hat sich im Laufe der Forschung, insbesondere in historischer Hinsicht gezeigt, dass ‘Geschlecht’ im Laufe der Geschichte sehr Verschiedenes bedeutet hat (z.B. in Bezug auf Männlichkeit https://www.univie.ac.at/igl.geschichte/maennlichkeiten/Mueller/literatur_maennlichkeiten.htm; Waldner o.J. für die Altertumswissenschaften; https://www2.hu-berlin.de/nilus/net-publications/ibaes2/Waldner/text.pdf), auch körperlich (z.B. Laqueur 1993) sein kann. Auch im regionalen Vergleich, oder entlang von religiösen oder kulturellen Differenzen kann Geschlecht enorm variieren. Zudem hat sich in empirischen Studien gezeigt, dass ‘Geschlecht’ ganz Unterschiedliches und nicht etwas immer Gleiches meinen muss (eine Übersicht zur Forschung in der Anthropologie bei Shahrokhi o.J.: https://www.eolss.net/sample-chapters/C04/E6-20D-68-22.pdf oder für die Ethnologie S. Schröter http://www.bpb.de/apuz/135446/grenzverlaeufe-zwischen-den-geschlechtern-aus-ethnologischer-perspektive?p=all): Geschlecht bezieht sich im Alltag auf Gefühle, Sexualität, Körper, Tätigkeiten, Lebensentwürfe, Identität, Zuständigkeiten usw. All’ dies zusammen genommen bedeutet, dass es gar nicht so klar ist, wie und als was ‘das Geschlecht’ fest zu machen ist. Geschlechtlichkeit ist, wie manchmal in der Forschung gesagt wird, prekär oder fragil; eine hoch wirksame und wichtige ‘Uneigentlichkeit’ gewissermaßen. Diese Uneigentlichkeit hat Folgen. Auch wenn Geschlecht bei näherer Betrachtung gar nicht so eindeutig ist, zeigen sich dann aber oft eindeutige Folgen in Bezug auf soziale Ungleichheit (Pay Gap, Pension Gap, Zeitverwendung auf unbezahlte und bezahlte Arbeit). Gender Studies wollen also weder Geschlecht wichtiger machen als es ist, noch es abschaffen, sondern herausfinden, wieso etwas, das gar nicht so einfach und eindeutig und immer gleich bestimmbar ist, sich in sozialer Ungleichheit verhärtet.
Manche (nicht alle!) Positionen in den Gender Studies möchten tatsächlich dazu beitragen, die großen Folgen des ‘kleinen Unterschieds’ abzumildern oder ganz zu überwinden. Das hieße dann nicht, ‘das Geschlecht abzuschaffen’, sondern dessen ungleichen Folgen auf dem Arbeitsmarkt, beim Einkommen, in der Lebenserwartung oder der Gesundheit usw. Wenn etwa bei Karrieren oder der Berufswahl tatsächlich die Geschlechtszugehörigkeit gar keine Rolle spielte oder bei der Frage, wer sich hauptsächlich um den Haushalt und die Kinder kümmert. Man kann sich ja durchaus zudem die Frage stellen, was gewonnen - oder verloren - wäre, wenn Geschlecht ein derart relativ unwichtiges Merkmal wäre wie, sagen wir, die Form des Ohrläppchens. Solche Phantasien gehören aber eher in das Reich der Belletristik.
 

Gleichstellung ist doch längst erreicht, womit beschäftigen sich die GS denn noch?

Dass Gleichstellung noch nicht erreicht ist, zeigen nicht nur offizielle Statistiken, so wie die der WHO zum Thema Gewalt gegen Frauen (https://www.frauen-gegen-gewalt.de/de/gewalt-gegen-frauen-zahlen-und-fakten.html), sondern auch aktuelle Debatten zu Themen wie Abtreibung, Altersarmut, Pflegenotstand oder Quotenregelungen. Frauen tragen die Risiken von Schwangerschaft und Geburt, verdienen weniger, arbeiten in schlechter bezahlten Berufen oder andersherum: Berufe, in denen mehrheitlich Frauen arbeiten sind schlechter entlohnt, haben weniger Aufstiegschancen und Prestige. Das führt zu einem erhöhten Risiko von Altersarmut, flankiert von institutionellen und gesetzlichen Arrangements wie dem Ehegattensplitting. Gleichstellung ist also nur in dem Maße erreicht, wie festgeschrieben ist, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Empirisch aber zeigt sich, das erforschen die Gender Studies mit Methoden der Soziologie und Ökonometrie, dass Frauen nach wie vor ein höheres Risiko haben, arm zu sein und sexualisierter Gewalt zu erfahren, um nur die beiden prägnantesten Marker sozialer Ungleichheit zu benennen.
Das Thema Gleichstellung ist außerdem weitaus komplexer und nicht nur auf die Kategorie Geschlecht begrenzt. Gleichstellung ist damit weder ein linearer Prozess noch bringt Gleichstellung in einem Bereich oder für eine Gruppe automatisch Gleichstellung für andere Gruppen. So würde ein größerer Anteil von Frauen in Führungspositionen zwar für eine ausgewogene Gender-Verteilung sorgen, aber nicht garantieren, dass alle Frauen ungeachtet ihrer unterschiedlichen Lebensrealitäten und sozialen wie kulturellen backgrounds gleichsam profitieren. Dies wird besonders auch bei Themen wie Care- und Hausarbeit deutlich, da hier das Zusammenwirken mehrerer Kategorien die Unterschiede zwischen einzelnen Gesellschaftsgruppen - auch innerhalb von Geschlechtszugehörigkeiten - offensichtlich wird. In anderen Worten: wenn mehr Frauen in Vorständen der DAX-Unternehmen sind, müssen “andere” Menschen die Arbeit erledigen, die historisch Frauen zugewiesen wurde, unentgeltlich und unsichtbar zu verrichten: Sorgen, pflegen, reinigen. Diese “anderen” sind meistens auch Frauen, wie aktuelle Phänomene um die sog. “24 Stunden Pflegekraft aus Polen” eindrucksvoll beweisen. Gleichstellung betrifft also nicht nur akademisch gebildete weiße Frauen in Deutschland und schlägt sich in Quotengesetzen nieder, sondern ist ein vielschichtiges, widersprüchliches und globales Phänomen, mit dem sich die Gender Studies beschäftigen.
 

Männer sind doch auch Opfer, z.B. ist die Suizidrate bei Männern höher als bei Frauen, ihre Lebenserwartung ist geringer als die von Frauen, sie sind auch Opfer von Gewalttaten. Warum befassen sich die GS nicht damit?

Tatsächlich wird insgesamt in den Gender Studies weniger - manche Kolleg_innen in den Gender Studies meinen auch: zu wenig - zu Männlichkeit und zur Situation von Männern geforscht als zu Frauen. Was jedoch nicht bedeutet, dass Männer und Männlichkeiten übersehen würden. Vielmehr hat sich seit ca. 20 Jahren ein ganzer Strang innerhalb der Gender Studies etabliert (https://www.bpb.de/apuz/144861/wie-aus-jungen-maenner-werden?p=all; für die Geschlechtergeschichte vgl. Martschukat/Stieglitz 2018), der (manchmal: ‘kritische’) Männlichkeitsforschung betreibt (Schölper 2008). Dabei geht es um sehr viele sehr unterschiedliche Themen, etwa

Diese Liste ließe sich noch sehr, sehr lange fortsetzen. Das heißt, es wird reichlich zu Männern geforscht, auch zu ihren Risiken oder Benachteiligungen. Mehr Forschung geht allerdings immer.
 


Warum forschen die GS nicht zum Islamismus und der Frauenverachtung bei Muslimen?

Diese Frage ist angesichts der aktuellen Debatten rund um Flucht, Religion/Kultur und Geschlechterfragen mehr als berechtigt. Das Thema ist wichtig. Und tatsächlich lässt sich sagen: darüber wird zu wenig geforscht. Was nicht heißt, dass das gar nicht stattfindet.
Innerhalb der Gender Studies forschen einzelne Wissenschaftler_innen schon seit vielen Jahren zu Islam und Geschlecht und/oder zur Lebenswirklichkeit und Einstellung muslimischer Menschen in Bezug auf Geschlechterfragen. Eine Auswahl:

Diese Liste ließe sich fortführen. Gleichwohl bleibt es doch so, dass zum Themenkomplex unbedingt mehr geforscht werden sollte, insbes. im empirischen Kontext von Flucht und Integration hier und heute. Diese Forschung sollte jenseits von pauschalen Vor-Urteilen und diesseits von Ängsten vor ‘falschen’ oder inopportunen Ergebnissen geschehen. Womöglich, so ließe sich vermuten, gibt es in den Gender Studies durchaus eine gut gemeinte Sorge, bestimmte Gruppierungen - ‘die Muslime’ oder ‘die Flüchtlinge’ - nicht vorab als gegebene homogene Einheit zu setzen. Dies wiederum basiert wahrscheinlich aus einer gut begründeten Skepsis gegenüber hoch problematischen und aus der deutschen wie internationalen Geschichte wohl bekannten und berüchtigten ‘Versämtlichungen’ (‘die Frauen’, ‘die Schwulen’, ‘das Mädchen usw.). Es gibt auch eine gute begründete Skepsis gegenüber der Frage nach der (angeblichen oder tatsächlichen, das wäre eben die Frage) Frauenverachtung oder der gewaltsamen Sexualität muslimisch sozialisierter Männer - aus politischen Gründen. Denn wir haben in den letzten Jahren durchaus erlebt, wie die ebenso heikle wie vielschichtige und ganz und gar nicht neue Thematik sexualisierter/vergeschlechtlichter Gewalt (etwa gegen Frauen) ideologisch und politisch in extrem affektiver Weise instrumentalisiert wurde. Und noch wird.
Umso wichtiger aber ist die differenzierende, gründliche und vorurteilslose Forschung auch zum Thema Flucht/Religion-Kultur/Geschlecht/Gewalt.
 

Bei den Gender Studies gibt es nur Frauen, vor allem auf den Professuren. Werden da nicht Männer diskriminiert?

Es stimmt, bei den Professuren und den festen Stellen in den Gender Studies gibt es auffällig wenig Männer (vgl. https://www.mvbz.org). Über die Gründe ist wenig geforscht, darüber lässt sich also nur spekulieren. Einerseits mag der geringe Männeranteil daran liegen, dass nach wie vor sich deutlich mehr Frauen als Männer für diesen Studien-, dann auch Forschungsschwerpunkt interessieren. Denn sehr oft gilt noch die stereotype Form: wo Geschlecht oder Gender drauf steht, sind Frauen drin. Zum anderen kann es gut sein, dass Frauen in diesem Feld eher gesehen und gefördert werden. Angenommen werden kann aber zugleich, dass die meisten im Feld sich bemühen, allen Geschlechtern faire Chancen zu geben und alle Geschlechter auch als Interessierte zu adressieren. Anders gesagt: wir möchten gern Männer und alle Geschlechter ermutigen, sich in diesem Forschungsbereich ernsthaft zu engagieren!

Das Geschlecht ist „nur konstruiert“, sagen die Gender Studies. Was soll das heißen?

Dieser Satz beruht auf einem Mißverständnis - denn so einfach ist es beileibe nicht. Korrekter wäre es zu sagen, dass das Geschlecht auch sozial konstruiert ist. Die Gender Studies negieren nicht biologische oder medizinische Forschungen, das ist ein populäres Missverständnis. Manchmal wird dieses Missverständnis auch als Argument gegen die Gender Studies vorgebracht, um deren Forschung zu diskreditieren (zum Beispiel weil diese Forschung mit Emanzipation von Frauen oder der Akzeptanz von Homosexualität in Verbindung gebracht wird).
Wofür sich die Gender Studies besonders interessieren ist, wann und weshalb der Geschlechterunterschied sozial und kulturell relevant wird. So gibt es zum Beispiel gesellschaftliche Kontexte die mehr und solche, die weniger stark über Geschlecht definiert sind. Und es lässt sich beobachten, dass und wie sich - zum Beispiel Männer und Frauen - als Männer und Frauen erst einmal darstellen (quasi: konstruieren) müssen, um als solche (zum Beispiel als “echter Mann”) ernst genommen zu werden.
Wenn wir zum Beispiel in die Welt der Mode, in Zeitschriften oder auch in die Popkultur schauen gibt es eine Unmenge an Beispielen dafür, wie voraussetzungsreich diese Konstruktionsleistungen sind und wie diese funktionieren (oder auch: sich ändern), das kann man erforschen. Wenn man sich mit diesen Forschungen beschäftigt dann wird auch ganz schnell deutlich, dass es ganz und gar nicht so ist, dass wir “unser Geschlecht wie eine Hose wechseln” könnten. Denn eben weil die Konstruktionsleistungen, das was wir alles anstellen, um eine Frau oder ein Mann zu sein, so aufwändig sind können wir nicht einfach “aus unserer Haut” - auch dann nicht, wenn wir das persönlich oder politisch wünschenswert fänden.
‚Was aber aus Sicht der Forschung tatsächlich auch “konstruiert” - und hier vielleicht: “nur konstruiert” ist, sind manche angeblich so klaren Geschlechterunterschiede, die auf sozial und historisch gewachsenen Vorurteilen beruhen. Solche Vorurteile besagen zum Beispiel, dass Frauen per se friedlicher seien als Männer, per se zur liebevollen Erziehung von Kindern geboren oder dass Männer qua Geschlecht eben bessere Führungskräfte als Frauen und weniger liebevolle Elternteile seien. Auch mit den ganz realen Folgen solcher Vorurteile befasst sich die Geschlechterforschung, zum Beispiel angesichts der Frage, weshalb Frauen vor Gericht häufig anders behandelt werden als männliche Täter. 

  • Sehr interessant hierzu ist die Literatur über die Bestrafung (bzw. Entkriminalisierung) von NS-Täterinnen:
    Koonz, C. 1987 Mothers in Fatherland: Women, the Family and Nazi Politics, New York: St. Martin's Press.
    Kompisch, K. 2008 Täterinnen. Frauen im Nationalsozialismus, Köln: Böhlau.
    Kretzer, A. 2009 SS-Täterschaft und Geschlecht. Der erste britische Ravensbrück-Prozess 1946/47 in Hamburg, Berlin 2009: Metropol Verlag.
    Mason, T. 1976 ‘Women in Germany, 1925-40. Family, Welfare, and Work’ in History Workshop Journal, 1/1967: 74-113 and 2/1976:5-32.
  • Auch Strafrechtswissenschaften und Kriminologie widmen sich diesen Themen in den Legal Gender Studies. Zusammenfassend vgl. z.B.
    Hermann, Dieter (2009) Delinquenz und Geschlecht. In: Kröber HL., Dölling D., Leygraf N., Sass H. (eds) Handbuch der Forensischen Psychiatrie. Steinkopff, S. 175-186.
  • Zur Perspektive der Konstruktion von Geschlecht:
    “doing gender” im Gender-Glossar https://gender-glossar.de/glossar/item/80-doing-gender
    “Die soziale Konstruktion von Geschlecht”, Meißner 2008
     

Die Ausbreitung der GS an den Unis geht zu Lasten anderer Fächer.

Die Gender Studies stehen im Gros nicht im Konkurrenzverhältnis mit anderen Disziplinen. Im Gegenteil verorten sich die meisten Gender-Wissenschaftler_innen in mehreren Disziplinen. Gender Studies wirkt demnach in verschiedenen Disziplinen mit und erweitert diese. Zugleich sind im deutschsprachigen Raum ca. 0,4% (Stand 2016) aller Professuren mit einer klaren, eigenen (Teil- oder Voll-)Denomination für (manchmal Frauen- und) Gender Studies/Geschlechterforschung ausgewiesen. Das ist keine derart bedeutender Anteil, als dass er andere Fächer oder Disziplinen wirklich verdrängen könnte. Zahlen und genaue Auflistung der Professuren sowie Gender Studies Zentren finden sich hier:
https://www.mvbz.org/anmerkungen-zur-datensammlung.php 

Zuordnungen von Professuren und Ausrichtungen von Lehr- und Forschungseinheiten werden von Instituten und Universitäts- oder Hochschulleitungen, manchmal auch von Stiftungen oder öffentliche Forschungsmittelgeber vorgenommen.

Geschlecht spielt doch oft gar keine Rolle, es sind die Gender Studies die das so überschätzen.

Es stimmt, das Geschlecht in vielen sozialen Situationen keine oder eine sehr geringe Rolle spielt. Aber warum sollte das wissenschaftlich uninteressant sein? Gender Studies geht es ja nicht darum, immer und überall die Betonung des Geschlechts zu betonen, sondern danach zu fragen, weshalb der kleine Unterschied manchmal hohe Relevanz besitzt und manchmal auch keine. Interessanterweise ist es auch oft gar nicht so einfach vorherzusagen, wann eine Situation mit Geschlecht aufgeladen wird. Auch diese Varianz in sozialen Situationen ist aus geschlechterwissenschaftlicher Perspektive spannend.
Eine wissenschaftliche Perspektive, die ebenfalls davor warnen würde, Geschlecht als eine singuläre Variable (überzu-)bewerten ist die Intersektionalitätsforschung. Dieser geht es darum, das Ineinandergreifen von unterschiedlichen Dimensionen sozialer Ungleichheit wie z.B. Alter, Geschlecht, Regionalität, Gesundheit und ethnische Zugehörigkeit zu untersuchen.
Intersektionalität? hier: https://gender-glossar.de/glossar/item/25-intersektionalitaet 
 

Schon kleinste Kinder kennen den Unterschied zwischen Mann und Frau und orientieren sich daran. Was haben die GS dagegen?

Nichts - warum auch? Es ist aber spannend zu erforschen, ob diese Aussagen so zutreffen und wie das zustande kommt. Und ob es immer für alle so stimmt. Auch ist die Frage, für wen welche Art von Geschlechtsidentität richtig, gesund, sinnvoll, klar usw. ist, die ist gar nicht so einfach verbindlich zu beantworten. Es gibt, mehr oder weniger viele, es gibt aber Kinder, die sich so einfach zu entweder Bub oder Mädchen nicht zuordnen können oder wollen. Es gibt Unklarheiten, Brüche, Uneindeutigkeiten, die interessant oder auch angsteinflößend sind. Darüber lässt sich sprechen und nachdenken. Auch in den Bildungseinrichtungen. Auch mit Kleinkindern. Mit Sex hat das übrigens zunächst nichts zu tun.
Und: ja, Kinder erkennen i.d.R. Männer und Frauen und lesen sie als solche. Dagegen haben die Gender Studies überhaupt nichts, sondern Fragen sich, was genau (s.o.) an Geschlecht so eindeutig ist und wie sich das verändert. Schließlich tragen Frauen ja anders als vor 50 Jahren oft Hosen, Männer lange Haare und Ohrringe, alle tragen Vans oder DocMartens (zumindest in manchen Milieus und Alterskohorten) und dass gerade trotzdem für uns und scheinbar für Kinder so eindeutig ist, was Männer und Frauen sind, ist eben komplex. Und noch interessanter ist, was sich daraus für soziale Folgen zeigen. Außerdem stellen sich die Gender Studies die Frage wieso das überhaupt so wichtig ist, immer alle Menschen nach Männern und Frauen zu sortieren. Gerade wenn es um Geschlechterfragen geht, scheinen diese sich oft mit Alltagswissen beantworten zu lassen. In den Gender Studies beschäftigen wir uns gerade mit dem überevidenten, dem alltäglichen, dem “aber schon Kinder”-Wissen und zeigen, dass dieses Wissen, das Kinder lernen, sich aneignen, oft genug auch ablehnen und kritisieren, sich einerseits wandelt (Frauen und Hosen), andererseits aber sehr hartnäckig stabil ist (Frauen und Kindererziehung). Genau hierin liegt der Unterschied zwischen Alltagswissen, das wir alle brauchen und Wissenschaft, die konsequent das befragt, was uns im Alltag so unzweifelbar erscheint.
 

Wieso müssen die GS alles gendern?

Geschlecht als strukturelle Kategorie ist immer bereits vorhanden und so normalisiert, dass sie nicht mehr wahrgenommen wird. Die Gender Studies machen dies im Zusammenhang mit struktureller Ungleichheit zwischen den Geschlechtern sichtbar. Binnen-I, Sternchen, Unterstrich sind Versuche, Geschlecht nicht mit männlich gleichzusetzen, sondern zu differenzieren, wer eigentlich gemeint ist. Es macht einen großen Unterschied, ob die Arbeitssoziologie bspw. von Arbeitern oder von Arbeitern und Arbeiterinnen, Arbeiter/innen, ArbeiterInnen, Arbeiter*innen, Arbeiter_innen schreibt. Klingt erst mal lustig, in ersterem Fall aber wird Wissen reproduziert, dass Arbeit männlich ist, etwas mit Muskeln und Stahl und Familie ernähren zu tun hat und sowieso nur Erwerbsarbeit meint. Die anderen Formen weisen darauf hin, dass nicht nur Männer (zur Differenzierung Sternchen etc. s.u.) arbeiten und gearbeitet haben, sondern Frauen auch. Erst wenn wir diesen Umstand konsequent sichtbar machen, lassen sich auch Wissenslücke mit Bezug auf bspw. Frauenerwerbstätigkeit im neunzehnten Jahrhundert identifizieren. Oder, dass “Arbeiten” und “Muskeln” auch “Kinder rumtragen” meinen könnte. Die Gender Studies “müssen gendern”, weil sonst dem Fach (und den anderen Fächern auch) Wissen verloren geht, bzw. gar nicht erst entstehen kann, darüber, wer denn wo und wie gearbeitet hat. Und das wiederum hat Folgen für aktuelle Debatten zum Thema Arbeit, wie die Tautologie #working mom beweist.
 

Was sollen diese ganzen Schreib- und Sprechverbote und -gebote, wie z.B. Sternchen, Unterstrich usw.? Das nervt, verhunzt die Sprache, bringt nichts und ändert auch gar nichts an bestehenden Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern.

Niemand in den Gender Studies würde behaupten, dass Sternchen oder Unterstriche alle Geschlechterungleichheiten beseitigen. Auch sagt niemand, dass dies das einzige oder gar wichtigste Problem sei. Allerdings weisen viele Studien schon lange und immer wieder neu durchaus darauf hin, dass Sprache unsere Wirklichkeit mit-bestimmt. Sprache, Worte, Begriffe, auch Grammatik rahmen unsere Wahrnehmung und machen die Welt in einer bestimmten Weise erfahrbar. In Bezug auf Geschlecht gibt es Studien die zeigen, dass die männlichen Allgemeinformen (Arzt, Lehrer, Professor, Schüler …) das, worum es jeweils geht, als tendenziell männlich prägen. Das ist nicht alles-entscheidend, schließlich gibt es ja trotzdem Lehrerinnen, Ärztinnen, Professorinnen und Schülerinnen. Aber die gewissermaßen idealtypische Person eines solchen Konzepts wird eher männlich gedacht, die männliche Form ist also die Norm. Daher gibt es seit vielen Jahrzehnten Versuche, andere Geschlechter auch sprachlich abzubilden - was der empirischen Wirklichkeit auch eher entspräche. Dazu gibt es in den Gender Studies viel Forschung, und auch unterschiedliche Ansätze sowie Praxen im eigenen Schreiben, Lehren und Forschen. So ist auch die angemessene Adressierung als Person, z.B. für Menschen, die sich nicht in der binären weiblich/männlich-Form verorten, selbstverständlich wichtig und ein simpler Akt der Anerkennung und der Höflichkeit. Im Übrigen ist ein bewusster Umgang mit den Vergeschlechtlichungen in der Sprache im Allgemeinen und in der Grammatikalisierung im Besonderen weder besonders kompliziert noch verhunzt es zwingend die Sprache bzw. das Sprechen. Es fordert aber die Phantasie heraus. Es gibt Schlimmeres. ;-) Sprech- und Sprachverbote zum Beispiel. Damit haben die Gender Studies nicht viel im Sinn. Wo sie einem, pardon einer, doch begegnen: ansprechen und klären.

Ganz wichtig noch: Vorschläge zur Sichtbarmachung von Geschlechtervielfalt verstehen sich als inklusive Praxis und sind im Einklang mit dem Urteil des BVerG zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, welches bestehende zweigeschlechtliche Sprachnormen als diskriminierend verurteilt: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2017/bvg17-095.html 

Zum Zusammenhang von Sprache und Geschlecht:

Frauen und Männer sind doch selber schuld, wenn sie Nachteile erleben: Frauen setzen sich nicht genug durch, sie sind nicht so ehrgeizig wie Männer; Frauen verhandeln in Jobs schlechter oder wollen lieber weniger Verantwortung.

Von den Gesellschaftswissenschaften des 20. Jahrhunderts können wir lernen, dass die Zuweisung von Schuld oder Selbstverantwortung an das einzelne Individuum ein häufig genutztes Argument ist. Zur modernen Individualisierung gehört eben auch, dass Menschen - aus guten Gründen - persönliche Verantwortung für Geschehnisse zugerechnet wird, die jedoch nicht oder nur sehr bedingt in ihrer Kontrolle liegen.
Arbeitslosen, zu Dicken, zu Dünnen, Alleinerziehenden, zu viel arbeitenden Menschen mit zu wenig Work-Life-Balance, armen Menschen und vielen anderen Gruppen wird gesellschaftlich ein “Selbst schuld!” zugerufen. Oft aber sind es wesentlich äußere Umstände - soziale Strukturen oder biologische Konstitution -, die Menschen in eine soziale Position oder ein ‘So-Sein’ bringen. So zeigt die Forschung, dass das Körpergewicht nur bedingt, wenn überhaupt, allein durch eigenes Tun kontrollierbar ist. Auch die ‘Vereinbarkeit’ von Job und Familie kann nicht von einer Mutter oder einem Vater allein, autonom gestaltet werden: Öffnungszeiten, Arbeitgeber, räumliche Umstände, Bedürfnisse des Kindes usw. spielen alle (auch) eine Rolle.
Aus Perspektive der Soziologie ist die Individualisierung von Verantwortung nicht sehr überzeugend, da diese zeigen kann, dass und wie wir alle unser Leben zwar eigenverantwortlich aber geprägt durch einen gesellschaftlich vorgegebenen Rahmen leben. Ob und wie wir Karriere machen, ob und wie wir uns Familie vorstellen und verwirklichen können, ob und wie wir wohnen, das ist nicht einfach Ergebnis einer individuellen Entscheidung sondern einer viel komplizierteren Rechnung mit vielen Variablen. Tatsächlich also sind individuelle Entscheidungen und Aspekte der Lebensgestaltung eine Mischung von sozialen Strukturen und individuellen Handlungsmöglichkeiten innerhalb dieser Strukturen. Genauso verhält es sich ja auch aus der Perspektive der Biologie: Lebensführung ist nicht unabhängig von bestimmten materiellen, etwa körperlicher, Grundlagen und Möglichkeiten gestaltbar. Welche das genau sind, und wie sie wirken, das ist eine Forschungsfrage, die mitnichten eindeutig beantwortet ist.
Fragen wie die Folgenden sind überindividuell und in der Zeit verändern sich die gesellschaftlich gegebenen Antworten: Ist ein Studium für einen Menschen aus meiner sozialen Schicht bezahlbar? Gibt es Betreuungsmöglichkeiten für mein Kind bzw. können wir es uns als Familie leisten, von einem Gehalt zu leben? Soll ich mich auf diese Stelle bewerben, die in einer anderen Stadt liegt? Eine von vielen Variablen in den Rechnungen ist das Geschlecht. So war es für Frauen bis vor wenigen Jahrzehnten nur möglich, außer Haus zu arbeiten, wenn sie Single waren oder der Ehemann der Erwerbsbarbeit zustimmte. Historisch etwas früher stritten sich Wissenschaftler, ob ein Studium die Fortpflanzungsfähigkeit von Frauen gefährde. Und bis heute zeigen Forschungen, dass bei Paaren, die sich den Haushalt teilen wollen, nach Geburt eines Kindes oft eine Verschiebung in Richtung der Frau eintritt - obwohl die Partner das beide nicht so geplant haben. Viele Studien zu Berufen und Karrieren zeigen auch, wie gleiches Verhalten, gleiche Kompetenzen, gleiche Erfahrung usw. bei Männern und Frauen bei Stellenbesetzungen durchaus unterschiedliche wahrgenommen werden. Es gibt - nicht immer und nicht zwingend, aber eben doch vielfach und in relevanter Weise - einen ‘implicit gender bias’ (auf Geschlecht basierende implizite Vorurteile) in Organisationen, auf Arbeitsmärkten usw.
Wenn also Frauen im statistischen Vergleich “weniger Verantwortung wollen” oder weniger Wert auf ihre Entlohnung legen als Männer, dann ist es aus Sicht einer Genderperspektive wahrscheinlich, dass geschlechtsspezifische gesellschaftliche Erwartungen hier hineinspielen. Das gilt selbstverständlich auch für Väter, die das Ernährermodell auch dann noch im Hinterkopf haben können, wenn eigentlich beide Partner arbeiten und sie dadurch entlastet wären. Tatsächlich vollzieht sich Lebensgestaltung vielfach hinter dem Rücken der betroffenen Personen; nicht aus Dummheit, nicht aus Verantwortungslosigkeit und auch nicht aus Bösartigkeit. Sondern, weil das Ineinandergreifen von Geschichte und Traditionen, Recht und Institutionen, Identität und biographische Wünsche, Arbeitsmärkte und private Familienarrangements das bedingen. Dass es auch anders geht, ist damit ja überhaupt nicht ausgeschlossen.

Zum Weiterlesen: 

Andere soziale Platzanweiser sind doch viel wichtiger als Geschlecht: Einkommen und Bildung z.B., oder Religion und Region.

Was stimmt ist, es gibt zahlreiche soziale Platzanweiser zum Beispiel die oben genannten und andere. Diese sind je nach Person, Situation und Kontext in spezifischer Weise miteinander verschränkt. In der wissenschaftlichen Theorie spricht man von Intersektionalität. Das Zusammenwirken mehrerer Kategorien widerspricht aber nicht der Bedeutung von Geschlecht. Mehr zum Thema Intersektionalität: http://portal-intersektionalitaet.de/theoriebildung/ueberblickstexte/walgenbach-einfuehrung/ 
Allerdings ergibt es wenig Sinn, diese sozialen Platzanweiser pauschal zu hierarchisieren. Je nach empirischem Kontext und Zusammenspiel ergeben soziale Kategorien - und dazu gehört auch Geschlecht - verschiedene Ungleichheitslagen. So lässt sich beispielsweise empirisch untersuchen, welche regionalspezifischen Geschlechterungleichheiten bestehen. Auch in Deutschland geht es selten um die Frauen, sondern um Männer und Frauen in verschiedenen Klassen bzw, Schichten, Communities, unterschiedlichen Alters, auf dem Land, in der Stadt, migrantisch und nicht migrantisch. Dabei bleibt aber Geschlecht eine von vielen entscheidenden Strukturkategorien wenn es um die Erforschung von Ungleichheit geht.

Mit GS lässt sich nach dem Studium nichts Richtiges machen oder werden. Was bringt dann so ein Studium?

Ein Studium in den Gender Studies bringt u. a. kritische Reflexionsfähigkeit, trandisziplinäre (Gender-)Kompetenz und Wissen um Machtstrukturen und Diskurse mit sich. Die Gender Studies bringen außerdem kritisches Wissen hervor, welches uns hilft gesellschaftliche Dynamiken zu analysieren und zu verstehen. Als interdisziplinäres Fach vermitteln die Gender Studies wie Geschlecht auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen vermittelt und hervorgebracht wird: im Film, in der Literatur, in der Wissenschaft, in der Arbeit, in sozialen Beziehungen usw. Diese Bereiche werden von unterschiedlichen akademischen Disziplinen mit unterschiedlichen Fragestellungen und Methoden bearbeitet, deren Schnittmenge mit Bezug zu Fragen die Geschlecht als historisch wandelbare Kategorie bringen die Gender Studies als Fach zusammen. Dieses Wissen ist wichtig und nutzbar in vielen Berufen, nicht zuletzt weil nicht nur Inhalte sondern auch Methoden vermittelt werden und damit die Fähigkeit, Diskurse und Praxen wissenschaftlich zu analysieren und zu interpretieren. Genauso wie in den Fächern, aus denen sich die Gender Studies speisen (Literaturwissenschaften, Kulturwissenschaften, Soziologie, Politikwissenschaften, Philosophie, Medizin, Geschichte, Biologie) werden in den Gender Studies wissenschaftliche Methoden vermittelt, nur eben mit dem Fokus auf Geschlecht.
 

Die GS sind ideologisch, nicht wissenschaftlich. Das hat der jüngste Publikationsskandal (peer review Skandal 2018) doch deutlich gezeigt.

Drei US-Amerikaner_innen, James A. Lindsay, Peter Boghossian und Helen Pluckrose, publizierten Anfang Oktober 2018 auf einem Portal ihre Erfahrung mit der absichtsvollen Veröffentlichung von nonsense-Aufsätzen in möglichst angesehenen Fachzeitschriften der Gender und anderer ‘studies’. Die drei Autor_innen hatten die explizite Absicht‚ “to study, understand, and expose the reality of grievance studies, which is corrupting academic research” (https://areomagazine.com/2018/10/02/academic-grievance-studies-and-the-corruption-of-scholarship/), d.h. von ihnen so bezeichneten Jammer- oder Beschwerde-Studien sollten ob ihres ideologischen Gehalts überführt und dabei deren schädliche Wirkung auf das ganze Wissenschaftssystem gezeigt werden. Die Veröffentlichung erregte eine relativ große Aufmerksamkeit und schien für viele Kritiker_inner der Gender Studies der endgültige Beweis, dass es den Gender Studies an Wissenschaftlichkeit mangelt. Dabei ist die Studie in Bezug auf die Gender Studies weniger aussagekräftig als viele denken:
Die Autor_innen schrieben über einen längeren Zeitraum 20 Paper, die sie versuchten in hochrangigen Journals zu veröffentlichen. Dies gelang ihnen nur bedingt: insgesamt wurden bis zur Bekanntgabe ihrer Unternehmung 7 Paper angenommen, und dies meist in weniger etablierten bzw. unseriösen ‘pay-to-publish’ Journals (das sind sich wissenschaftlich gerierende Zeitschriften, in denen Wissenschaftler_innen für die Publikation ihrer Texte selber zahlen. So wird Qualitätskontrolle untergraben oder ganz umgangen. Es gibt solche fake oder mindere Journals in so gut wie allen Disziplinen. Für die Physik: https://phys.org/news/2017-03-publish-schemes-rampant-science-journals.html). Dass selbst diese 7 Paper trotz offensichtlicher Mängel veröffentlicht wurden, und zwar in einigen wenigen Fällen in tatsächlich hoch renommierten Zeitschriften der Gender Studies, verdeutlicht durchaus bestehende Probleme im wissenschaftlichen Publikationsbetrieb. Das ist ein ernsthaftes Problem, das auch die Gender Studies betrifft.
Allerdings gingen die drei Autor_innen weit über diese sinnvolle Kritik hinaus: Denn der Nachweis schludriger Peer-Review und mangelnder Qualitätskontrolle bei pay-to-publish Journals macht nicht zwangsläufig einer Aussage über die generelle Fachdisziplin, in der die Hoax Paper verordnet wurden und sogar nicht einmal über andere Paper in denselben Journals. Dieser logische Fehlschluss wirft ein Licht auf weitere Schwächen des Studiendesigns.
Die ‚Grievance Study‘ folgt selbst nicht den wissenschaftlichen Standards, die sie vorgeblich für unabdingbar hält. Die Unwissenschaftlichkeit der sogenannten ‚Grievance Studies‘ ist mitnichten bewiesen. Dafür basiert das Ganze auf zu viele resultatverzerrende Formen (verschiedene Journaltypen, Peer Review System, Publikationsindustrie). Um zu beweisen, dass es sich hier um ein disziplinspezifisches Problem handelt, hätte es in der Studie selbst eine Kontrollgruppe in anderen Disziplinen geben müssen (so u.a. Richardson hier https://www.buzzfeednews.com/article/virginiahughes/grievance-studies-sokal-hoax).
Im Übrigen hat es in der Geschichte vieler Disziplinen ähnliche Hoax Paper gegeben: u.a. in der Mathematik, der Physik, Chemie und IT. Überhaupt haben derzeit insbes. die experimentellen Disziplinen mit einer seit Jahren andauernden ‘Replikationskrise’ https://www.nzz.ch/wissenschaft/physik/fallstricke-der-statistik-die-wissenschaft-in-der-replikationskrise-ld.86330) zu kämpfen, d.h. viele Ergebnisse sind nicht reproduzierbar, nicht wenige scheinen geschönt oder gefälscht. Die medienwirksame Anprangerung der vermeintlichen disziplinspezifischen Missstände der ‚Grievance Studie‘ blendet diese Problematiken bewusst aus.
Abschließend lässt sich sagen, dass wissenschaftliche Kritik gut und nötig ist. Die Aufdeckung von Problemen in der Wissenschaftspraxis sind berechtigt und wichtig und sollten ernsthafte Lösungsansätze zur Folge haben. Auch inhaltliche bzw. Methodenkritik hat ebenso ihren Platz wie die Kritik an ideologisierter Wissenschaft. Studien hingegen deren erklärtes Ziel es ist, eine Disziplin zu delegitimieren sind genau das, was sie vorgeben nicht zu sein: unwissenschaftlich und ideologisch.
 
Zum Weiterlesen:

https://ethxblog.blogspot.com/2018/10/sokal-on-steroids-why-hoax-papers.html 
https://www.pressreader.com/germany/neues-deutschland/20181027/281582356621186 
https://slate.com/technology/2018/10/grievance-studies-hoax-not-academic-scandal.html 
 

Die GS werden doch politisch alimentiert.

Das Argument einer ‘politischen Alimentierung’ bzw. der Gender Studies als Lobbyismus ist zwar politisch als ein böser Vorwurf gemeint, der vor allem von den selbsternannten Gegnern und Gegnerinnen der Geschlechterforschung gemacht wird. Nimmt man die Polemik heraus, ist er jedoch durchaus korrekt. Er gilt aber dann: für genau alle Disziplinen, Fächer und Lehr- sowie Forschungsformen in öffentlichen Einrichtungen. Alle Wissenschaften sind (auch) politisch alimentiert, denn in einer rechtsstaatlichen Demokratie entscheiden Bundes- und Landesregierungen zumindest weitestgehend darüber, wie (gut) ihre Hochschulen finanziert, welche Themenbereiche fokussiert werden und wie die Ausbildung der Studierenden aussehen soll. Wenngleich Hochschulen in diesem Rahmen frei operieren (was sehr wichtig ist, um kreative, exzellente, bahnbrechende Forschung nach eigenen, also wissenschaftlichen Standards, zu ermöglichen), so gibt es immer wieder Themen, die politisch für besonders relevant befunden werden (etwa die Heilung bestimmter Krankheiten, Stadtplanung, Migration, Klimakrise etc.). Dann wird unter Umständen entsprechend entschieden, bestimmte Schwerpunktprogramme auf diese Themen zu legen - und damit auch nicht auf andere. Das geschieht allerdings immer entlang der Empfehlungen der scientific community und unter Einhaltung derer Standards.

Einen entsprechend gestalteten starken Fokus auf die Gender Studies gab es in der Bundesrepublik bisher nicht. Zwar haben einzelne Bundesländer manche Professur für Frauen- oder Geschlechterforschung mit-finanziert oder die Vernetzung bereits bestehender Stellen/Professuren/Zentren unterstützt (so etwa in NRW https://www.netzwerk-fgf.nrw.de/das-netzwerk/das-netzwerk/  oder in Berlin https://www.berlin.de/sen/frauen/oeffentlichkeit/frauenpolitische-netzwerke/afg/artikel.29327.php), aber tatsächlich haben sich die Gender Studies aus den Forschungskontexten und den einzelnen Disziplinen heraus, also wissenschaftsimmanent, entwickelt. Dabei hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Geschlechterfragen bei vielen Forschungs-Themen eine Rolle spielen, nicht zuletzt auch in Medizin (z.B. https://www.dgesgm.de), Wirtschaft (z.B. am DIW Berlin https://www.diw.de/de/diw_01.c.364695.de/forschung_beratung/forschungsgruppen/gender_studies/gender_studies.html), Jura (zB Univ. Wien; https://rechtsphilosophie.univie.ac.at/team/holzleithner-elisabeth/). Die Nachfrage nach Gender Studies ist also gestiegen und viele dem Vorurteil nach eher “konservative” Wissenschaften integrieren die Gender-Perspektive in ihren Kanon.

Gender Studies sind aber immer noch ein vergleichsweises kleiner Forschungs- und Lehrzusammenhang an deutschen Universitäten (ca. 0,4% aller Professuren an Universitäten im deutschsprachigen Raum haben eine Voll- oder Teildenomination; vgl. https://www.mvbz.org/anmerkungen-zur-datensammlung.php). Da die Gender Studies darüber hinaus - anders als bahnbrechende Forschungen der Biophysik, der Neurologie oder des Geo-Engineering - ohne teure Studien an Menschen, besondere Technik oder zusätzliches Personal auskommen, wäre ihre vermeintliche “Alimentierung” tatsächlich recht günstig.
 

Bedeutet die Emanzipation von Frauen nicht vor allem Nachteile für Männer?

Wenn es um die politische Frage nach Einfluss, Macht, nach Partizipations- und Teilhabemöglichkeiten geht, dann kann man die Infragestellung von Privilegien, die einer Gruppe zukommen, sicherlich als Nachteil verstehen. Wenn nicht mehr selbstverständlich die Geburt eines Sohnes als wichtiger als die einer Tochter erachtet wird, wenn Männer nicht mehr automatisch das größte Stück Fleisch beim Abendessen serviert bekommen, wenn Männer sich Führungspositionen mit Frauen teilen müssen etc. Aber es greift völlig zu kurz die durch die Frauenbewegung vorangebrachten Veränderungen im Geschlechterverhältnis in Richtung Gleichberechtigung und Gleichstellung ausschließlich als Einschränkung und Verlust von Privilegien auf Seiten der Männer zu verstehen. Denn letztlich profitieren Männer ebenso von dieser Emanzipation, nur dass darüber viel zu wenig gesprochen wird. Männer sehen sich schließlich auch mit gesellschaftlichen Anforderungen und normativen Erwartungen konfrontiert, denen sie, so scheint’s, genügen müssen: sie sollen eine Familie ernähren (können), stark sein, sich für Autos und Fußball interessieren und vieles mehr, glaubt man den Geschlechterklischees. Ist es nicht auch eine Befreiung, sich die Familienverantwortung mit eine_r Partner_in teilen zu können, Elternzeit nehmen zu können ohne ausgelacht zu werden, auch mit Freundinnen über Autos fachsimpeln zu können oder Fußball uninteressant zu finden und ganz allgemein Aspekte der eigenen Persönlichkeit angstfrei ausleben zu dürfen, die gar nicht zu den Geschlechterklischees passen? Die Gender Studies haben ein breites Forschungsfeld zum Thema Männlichkeit(en) hervorgebracht. Dabei geht es um die Erforschung der Bedeutung von Männlichkeitsnormen (wie in dem wegweisenden Konzept der hegemonialen Männlichkeit der Geschlechterforscherin Raewyn Connell) und auch deren Wandel (z.B. in den Studien der Geschlechterforscher_innen Diana Lengersdorf und Michael Meuser, die sich angucken, wie die Veränderung von Erwerbsverhältnissen sich auf die Selbstverständnisse von Männern und Frauen ausdrücken).
 

Gibt es auf dieser Welt nicht wichtigere Probleme und drängendere Fragen als die nach dem Anteil weiblicher Politikerinnen im Parlament, der Möglichkeit eines dritten Geschlechts im Geburtenregister und der Einrichtung von Unisex-Toiletten?

So viel ist sicher: Ein höherer Anteil weiblicher Politikerinnen wird keine direkte Auswirkung darauf haben, dass es Kriege in der Welt gibt, und auch die mögliche Wahl eines dritten Geschlechts wird die zunehmende Kinderarmut in Deutschland nicht ändern können. Aber das hat ja auch niemand behauptet. Gleichwohl sind politische Forderungen, die das Thema Geschlecht und Sexualität auf die Tagesordnung setzen, nicht einfach nur Wohlstandsprobleme oder Identitätsgedöns, weil sie jeweils sehr unmittelbar Verhältnisse kritisieren, die gewaltvoll sind und Leid verursachen. So steht Homosexualität in vielen Ländern nach wie vor unter Todesstrafe und auch in Deutschland sind Menschen, die der geltenden Norm in Bezug auf Geschlecht und sexueller Orientierung nicht entsprechen immer wieder Übergriffen und Diskriminierungen ausgesetzt (vgl. allgemeiner zum Thema Diskriminierung die Antidiskriminierungsstelle des Bundes http://www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/Home/home_node.html). Keine Möglichkeit zu haben auf die Toilette gehen zu können, weil man sowohl auf der Männer- wie der Frauentoilette Diskriminierung erfährt bzw. dort nicht reingelassen wird, ist eine leidvolle Erfahrung. Und umgekehrt gewinnen doch alle mit einer dritten Toilette mehr als sie verlieren (nicht zuletzt eine weitere Toilette). Das Problem ist jedoch auf einer allgemeineren Ebene, dass häufig verschiedene politische Anliegen fälschlicherweise gegeneinander ausgespielt werden. Dabei gehören Verteilungsgerechtigkeit und die Anerkennung von Vielfalt zusammen. Denn nicht-Anerkennung hat konkrete materielle Folgen. Stigmatisierung, Ausgrenzung und Diskriminierung sind häufig die Voraussetzung für die ungleiche Verteilung von Chancen aber auch von ganz materiellen Ressourcen.
Aufgabe der Gender Studies ist es in historischen, empirischen und vergleichenden Analysen aufzuzeigen, dass und inwieweit die Ausgrenzung und Ungleichbehandlung von Menschen aufgrund des Geschlechts und der sexuellen Orientierung mit grundlegenden Strukturen und mit Werten und Normen in der Gesellschaft zu tun haben. Die Ausprägung dieser Ungleichheit ist durchaus unterschiedlich gewaltvoll oder relevant. Bezogen auf die Abwertung von Frauen betrifft sie beispielweise so unterschiedliche Phänomene wie den nicht nur in Lateinamerika sondern auch in Europa existenten Feminizid. Erst im November diesen Jahres meldete das Familienministerium, dass 2017 jeden zweiten bis dritten Tag eine Frau in Deutschland von ihrem “aktuellen oder früheren Lebenspartner getötet wurde” (https://www.tagesschau.de/inland/haeusliche-gewalt-giffey-101.html) (vgl. hierzu Zahlen auf https://www.europeandatajournalism.eu/ger/Nachrichten/Daten-Nachrichten/Frauenmord-in-Europa-Ein-Vergleich-zwischen-unterschiedlichen-Laendern) wie Debatten um frauenfeindliche Werbung (vgl. hierzu https://pinkstinks.de/negativ-beispiele/).

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